Harry Nestler´s Text zum Album (ergänzt)

„Seebeck am Markt“ das sind Erinnerungen. Wenn man erst einmal in ´unserem´ Alter ist, dann tauchen sie schon einmal auf, die Gedanken an „Damals“. Dann fragt man sich schon einmal, wie war das noch, wie war sie denn unsere Jugendzeit? Unsere Kinder sind bereits erwachsen und wir haben wieder ein wenig mehr Zeit für uns selbst.

Unsere Träume kehren zurück. „Seebeck am Markt“, das ist für uns nicht einfach nur ein Name, das ist die Zeit des Aufbruchs, das ist die Zeit, in der wir, über die Musik, die Freiheit entdecken. „Seebeck am Markt“, das ist für Bremerhaven ein Inbegriff für die so gerne zitierten späten „50“er.

Elvis, Buddy Holly oder Fats Domino sind Sänger, die unsere Herzen im Sturm erobern.

„Seebeck am Markt“ ist schnell die Hochburg des Rock n´ Roll. Der Laden erzittert wenn Wanda Jackson ihr „Let´s have a party“ donnert, und kein Mensch der Welt kann uns verbieten dabei zu sein.

Elvistolle, Entenschnitt, Pferdeschwanz und erste Jeans, wir finden schnell zurecht in unserer eigenen Welt.

Und über Nacht ist sie da, die Live Musik. Ohne große Technik, die gibt es noch nicht, pur und von Hand gemacht, schafft sie schnell den Durchbruch. Zumindest am Wochenende hat die Musikbox Pause.

Die ersten Sängerwettstreite halten mit großem Erfolg Einzug bei „Seebeck am Markt“.

Aber nicht nur der harte Rock n´ Roll allein regiert, auch die leisen Töne kommen nicht zu kurz. Wenn Manni Müller, der spätere Weltenbummler (Guinness Buch der Rekorde), das Mikrofon ergreift und sein Granada singt, dann verstummen die Stimmen, dann kann man die berühmte Nadel fallen hören. Dann finden Hände zueinander, die schnell merken, dass sie zusammen gehören, dann kehrt Ruhe ein.

Wir sind glücklich, ganz umsonst.

Und dann das Jahr 1962. Ein Jahr des Rückgangs, auch in der Musik. Der Rock n´ Roll

gerät in´s Abseits, die Jugend erwartet etwas „Neues“, und bei „Seebeck am Markt“ gibt es keine Veranstaltungen mehr. Schlimmer noch, der große Saal wird geschlossen und die wenigen Getreuen verlieren sich im kleinen Saal in der oberen Etage.

Aber dann geht es wieder los, und zwar mit aller Macht. Der Beat hält Einzug, auch in Bremerhaven.

Uli John und seine „Black Stars“ erobern wieder die Bühne und das Publikum. Live Musik ist wieder ein Muss. Der Star-Club Hamburg schickt seine Bands, und fortan geben sich die Phantom Brothers, Gene Vincent & the Blue Caps, The Vampires, oder Cisco and the Dynamites (heute TRUCKSTOP) und ungezählte andere Gruppen auf der Bühne bei „Seebeck am Markt“ ein Stelldichein.

Auch unsere lokalen Gruppen, unsere Musiker, müssen sich nicht verstecken. Schnell werden die Rhythm Brothers um Bernd Zamulo (heute LORDS) oder die Soulbeats mit George B. Miller weit über die Grenzen Bremerhavens bekannt. Selbst George Meier, später einer der führenden Gitarristen in Bremerhaven (RATTLES, WOLFSMOND, MEIER/MILLER/KAISER, HAGEN ALLSTARS, wie George B. Miller auch), holt sich hier als kleiner Knirps seine ersten musikalischen Anregungen.

Nicht mehr der Rock n´ Roll dominiert, der Beat und der Slop haben ihren Siegeszug angetreten, und...es boomt wieder. Der Sängerwettstreit kehrt zurück.

Die Sänger sind neu, die heimlichen Sternchen der Stadt heißen jetzt Werner „Mücke“ Grasmück oder Stimmentalent Emil Harder. Auch ein späterer Star im deutschen Schlager-

geschäft räumt jetzt unerbittlich die Preise ab: Stephan Remmler, unter anderem gewinnt er hier seinen ersten Gebrauchtwagen. Wie sollte es anders sein, der Zeit entsprechend natürlich einen „Leukoplastbomber“. Auch ein Stück Zeitgeschichte.

Und dann, quasi über Nacht, ist alles vorbei. „Seebeck am Markt“ schließt für immer seine Türen. Ein Stück Jugendkultur, ein Stück Jugendgeschichte dieser Stadt hat aufgehört zu existieren.

Wo einst ein großer Teil der Bremerhavener Jugend die Freizeit verbrachte, da steht heute

ein großes Wohnhaus. Der Zahn der Zeit.

Aber uns bleiben ja die Erinnerungen an eine schöne Zeit, die wir alle nicht missen möchten.

Es war schön, dabei gewesen zu sein.